Selbstverständnis des Strafverteidigers |

Selbstverständnis des Strafverteidigers – Ein Plädoyer von Walther Rode (1876–1934)

Aus Rode, Knöpfe und Vögel. Lesebuch für Angeklagte, 1931, S. 445 ff.

»Die Verteidiger, von der eingealterten Prozessregie überwältigt, lassen sich diese Zweiteilung [in Beweisaufnahme und Schlußvorträge] gefallen, ergreifen das Wort erst, wenn es ihnen gegeben ist, verabsäumen es, sich’s immer wieder zu erbitten, sich’s zu nehmen. Sie sind nette Menschen, die wissen, wie man sich vor Gericht aufzuführen hat. Ein netter Mensch sein, aber heißt: ein Verteidiger sein nach dem Herzen des Gerichts, eine quantité négligeable, eine Schachfigur, die man wegstellt. Der nette Mensch, der sich gut benimmt und niemanden stört, der nicht trieft und nicht stinkt, kann vermöge der Negativität seines Wesens nicht begreifen, dass man nur durch Übung des ungern Gelittenen, des Verbotenen, des Perhorreszierten eine Position gewinnt; dass der Verteidiger nicht dulden darf, wie der Vorsitzende des Gerichts sich breit macht; dass die Hauptverhandlung kein Sängerkrieg, sondern eine Stegreifkomödie ist; dass sie nicht dazu da ist, gute Erziehung, sondern Schlagfertigkeit zu beweisen; dass ein Zwischenruf, ein in die Rede Fallen, eine unziemliche Handbewegung, ein Lachanfall, die Hoheit und Würde des Gerichtes oder der Partei des Anklägers besser zerstören als alles knabenhaft ernste Eingehen in die Lächerlichkeiten des Prozesses. Durch Zwischenrufe werden sonst der Vernachlässigung unterliegende Entlastungsmomente unterstrichen und übertrieben, Belastungsmomente ironisiert. Glückliche Zwischenrufe, die Pfeile, die Satzfragmente des Thersites können die Anklage umwerfen, das Prozessmilieu blitzartig illustrieren, den ganzen Prozess als Aufbauschung einer Geringfügigkeit kennzeichnen.

Die netten Menschen haben keine Ahnung davon, welche Kraft dem perhorreszierten Zwischenplädoyer zukommt, wie es gegen den Widerstand des Vorsitzenden eingeschmuggelt werden soll, und sind sich dessen nicht bewusst, dass es nebst treffsicher eingeschleudertem Hohn die eigentlich prozesswendende Macht ist.

Düster der Verhandlungssaal, niedergedrückt die Angeklagten, vernichtend die Legende der Anklage. Wenn die Dampfwalze der Schuldbeweise über den Angeklagten schon hinweggangen ist, ihn bereits getötet hat, ist seine Wiedererweckung in der Schlussrede durch bloße Widerlegung der Anklagemomente unmöglich. Nur die Schönredner, die das selbstgefälige Virtuosentum des Schlussplädoyers pflegen, die am Schluss der Verhandlung das Plädoyer, ihr Plädoyer hinlegen, glauben, weil es ihnen oft gelungen ist, unvermeidliche Freisprüche mit Brusttönen zu schöner Reife zu bringen, dass der Brunftruf des Verteidigers, die phrasenerstickte Klage, ehe der Vorsitzende die Akten zusammenrafft, der eigentliche Partiestoß des Prozesses sei.

Die Verteidigung hat früher zu beginnen. An der Spitze des Prozesses und vor Schluss des Beweisverfahrens hat sich der Verteidiger mit seinen Anträgen aufzupflanzen. Sofort hat er auszusprechen, was das für ein Prozess ist. Die Schöffen und die Öffentlichkeit sollen nicht glauben dürfen, dass sich hier das Gesetz automatisch verwirkliche.« (Rode, Knöpfe und Vögel. Lesebuch für Angeklagte, 1931, S. 445 ff.)

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